Autor Thema: Cortisondosierung bei emotionalem Strass?  (Gelesen 39327 mal)

Februar 20, 2013, 09:28:57 Vormittag
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Moni

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Hallo,
ich meld mich nochmal, vielleicht weiss jemand hier mehr.
Mein wirkliches Problem ist die Psyche.
Nach meiner Trennung von meinem Mann vor ein paar Jahren bekam ich sehr starke Depressionen. Ich muss dazu sagen, dass ich in der Ehe viele Dinge erlebt hab, die du einfach nicht erleben möchtest.
Die Jahre danach waren extrem schwierig. Vor allem sehr große finanzielle Probleme, Schulden in
6stelliger Höhe. und vieles mehr.
Das alles gehört nun nicht wirklich  hier in dieses Formum.
Trotzdem kämpf ich nun seit Jahren mit schweren Depressionen, bekomm mein Leben nicht wirklich in den Griff , da es mir auch körperlich schlecht geht.
Ich mag das Wort Depressionen nicht mehr, besser ist wenn ich vom Burn out spreche (obwohl es ja das gleiche ist)
Ich funktioniere nicht mehr und der Alltag ist manchmal die Hölle.
Ich bin seit Jahren so sehr angespannt, und finde keine tiefe Ruhe und Entspannung in mir ( auch nicht wenn ich mal ein paar Tage weg fahre).
Panikattacken, Schlafstörungen , extreme Angstzustände, volles Programm.
Ich hab den Überblick größtenteils verloren und erst vor einigen Tagen, frag ich mich erneut ob hier nicht auch eine erhöhte Dosis Prednisolon nötig ist.
Angenommen das der Cortisolmangel einer der Gründe für meine Zustand ist, wieviel sollte ich nehmen, und wenn ja wann müsste Besserung eintreten?

Ich bin seit Jahren in psychiatrischer Behandlung, keines der Antidepressiva wirkt wirklich. Ich hab den Psychiater auf AGS angesprochen, der meint ich muss das endokrinologisch abklären.
Der Endokrinologe spreizt sich und meint er kann da nichts für mich tun, das muss ich psychiatrisch behandeln lassen.
Ich hab bis heute nach all den Jahen nirgendwo die Brücke gefunden. Also so etwas, wie einen endokrinologische Psychiater.
Ich muss noch anmerken,dass ich seit meiner Kindheit mit Depressionen kämpfe, und angefangen hat alles, als ich damals als Kind bedonnen hab,  Cortison zu nehmen.
 Aber erst viele. viele Jahre später ist mir das bewusst geworden. Damals sprach ich einfach nur von "so komischen Zuständen".

Auch wenn manche Ärzte keine Zusammenhang sehen ( und immer nur auf der Eheproblematik herumreiten) , ich kann mir nicht helfen, intuitiv sehe ich hier durchaus Zusammenhänge.
Als wäre mein Lebensgefühl und meine Psyche mein ganzes Leben bis zu einem gewissen Grad davon beeinflusst.
Kann mir jemand etwas dazu sagen?

Ganz leibe Grüße
Moni





Februar 21, 2013, 12:16:21 Vormittag
Antwort #1

Sivana

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Hallo Moni,
ich melde mich auch mal zu diesem Problem, weil ich aus dem Gesundheitsbereich komme und dazu noch mit einem Arzt verheiratet bin. Es ist bekannt und wissenschaftlich erwiesen, das zu wenig Cortisol auch ohne Stress und Problemen zu leichter Depression und schlechter Laune führt. Ebenfalls ist ein niedriger Cortisolspiegel auch Grund für Panikattacken. Gerade letztere ist auch bei mir ein Dauerbrenner seit meiner Kindheit. Ich habe damit zwar nicht täglich zu tun, aber eben in Stress-Situationen und eigentlich wäre es dann auch für mich besser Cortisol zu nehmen. Du stehst unter einer starken Dauerbelastung, dass wahrscheinlich eine Neueinstellung mit den Medikamenten sinnvoll wäre. Es fragt sich auch ob Deine Ärzte darauf geachtet haben, dass sich das Cortisol und die Psychopharmaka überhaupt kompatibel sind. Sonst kann ein Medikament die Wirkung von dem anderen abschwächen oder versträrken.

Übrigens bekommst Du das Herzrasen der Panikattacke recht schnell wieder weg, wenn Du ein Glas eiskaltes Wasser in einem zug trinkst. Calcium ist ebenfalls sehr hilfreich, da es das Hyperventilieren "unterdrückt", und wenn es Dir angsttechnisch ganz schlecht geht, hast Du schon mal in eine Tüte geatmet? Wirkt oft Wunder ;-)

Gute Besserung
Sivana

April 18, 2013, 03:15:49 Vormittag
Antwort #2

Braunauge

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Hallo,

Der Endokrinologe spreizt sich und meint er kann da nichts für mich tun, das muss ich psychiatrisch behandeln lassen.
Ich hab bis heute nach all den Jahen nirgendwo die Brücke gefunden. Also so etwas, wie einen endokrinologische Psychiater.

Solche Leute gibt's schon, aber die sind dünn gesät.

Zitat
Auch wenn manche Ärzte keine Zusammenhang sehen ( und immer nur auf der Eheproblematik herumreiten) , ich kann mir nicht helfen, intuitiv sehe ich hier durchaus Zusammenhänge.

Ich würde meinen, daß da beides seinen Anteil hat.


Es ist bekannt und wissenschaftlich erwiesen, das zu wenig Cortisol auch ohne Stress und Problemen zu leichter Depression und schlechter Laune führt. Ebenfalls ist ein niedriger Cortisolspiegel auch Grund für Panikattacken.

Bei den meisten Menschen mit Depressionen und Angsterkrankungen findet man einen zu hohen Cortisolspiegel. Aus diesem Grund wird auch intensiv an Medikamenten geforscht, die den Cortisolspiegel herunterdrücken sollen.

Zitat
Ich habe damit zwar nicht täglich zu tun, aber eben in Stress-Situationen und eigentlich wäre es dann auch für mich besser Cortisol zu nehmen.

Die meisten Ärzte in unserem med. Beirat (d.h. dem med. Beirat der AGS-Initiative) raten davon ab, wegen Sport oder leichten bis mittelmäßigen psychischen Belastungen die Corticoiddosis zu erhöhen. Im Falle von psychischem Streß ist es sinnvoller, ein Entspannungsverfahren (z.B. Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung, Tai Chi, Qui Gong, Yoga) zu erlernen und dann auch konsequent anzuwenden.

Zitat
Es fragt sich auch ob Deine Ärzte darauf geachtet haben, dass sich das Cortisol und die Psychopharmaka überhaupt kompatibel sind. Sonst kann ein Medikament die Wirkung von dem anderen abschwächen oder versträrken.

Da gibt es in den meisten Fällen keine Probleme. (Ich nehme selber auch Psychopharmaka.)
Es sollte nur darauf geachtet werden, daß keines der Medikamente das Enzym CYP 3A4 hemmt. Ansonsten kann es nämlich zu einem unerwünschten Anstieg des Serumspiegels des Corticoids (oder, im Falle eines Ovulationshemmers o.Ä., eines Sexualhormons) kommen. (Grapefruitsaft enthält ebenfalls Stoffe, die dieses Enzym hemmen.)

Viele Grüße,
Braunauge
« Letzte Änderung: April 18, 2013, 03:20:43 Vormittag von Braunauge »

April 20, 2013, 12:10:30 Vormittag
Antwort #3

Sivana

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Zitat
Bei den meisten Menschen mit Depressionen und Angsterkrankungen findet man einen zu hohen Cortisolspiegel. Aus diesem Grund wird auch intensiv an Medikamenten geforscht, die den Cortisolspiegel herunterdrücken sollen.

Bei Panikattacken ist der Cortisolspiegel zu niedrig, auch hier wird wird wissenschaftlich geforscht.Mein Problem bei Stress sind Panikattacken und dagegen hilft das beste Autogene Training nichts. Ich selbst nehme ja kein Cortisol, aber es wäre sicher sinnvoller als ewig diese Panikattacken auszuhalten.Cortisol "überschreibt" übrigens auch diese Negativerfahrungen die z.B. zum Vermeidungsverhalten führen.

Warum ist denn der wissenschaftliche Beirat gegen Cortisol Substitution bei stark betroffenen Heterozygoten? Ich meine, gegen die Anzeichen der Vermännlichung kann eine Runde Pilates wohl wenig helfen ;-)

Gruss
Sivana

P.s. Moni ist zur Zeit in einer Klinik und hat kein Internet.

Mai 11, 2013, 02:00:45 Vormittag
Antwort #4

Braunauge

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Zitat
Bei Panikattacken ist der Cortisolspiegel zu niedrig,

Das stimmt so nicht ganz. Es ist eher so, daß bei Menschen, welche bereits seit einigen Jahren unter einer Panikstörung leiden, der Cortisolspiegel während des Aufwachens und bei Streß nicht mehr so stark ansteigt (siehe u.a. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22776419, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22277728, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19913360). Dabei könnte es sich um einen Schutzmechanismus handeln. Schließlich führt ein dauerhaft extrem erhöhter Cortisolspiegel zum Cushing-Syndrom.
Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt diese Studie: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20190128

Zitat
Mein Problem bei Stress sind Panikattacken und dagegen hilft das beste Autogene Training nichts.

Konsequent (!) angewandte Entspannungsverfahren beenden nicht die Attacke, sondern senken die Anfälligkeit für Attacken.

Zitat
Ich selbst nehme ja kein Cortisol, aber es wäre sicher sinnvoller als ewig diese Panikattacken auszuhalten.Cortisol "überschreibt" übrigens auch diese Negativerfahrungen die z.B. zum Vermeidungsverhalten führen.

Hydrocortison hilft nicht gegen Panikattacken, außer über einen Placeboeffekt. Es "überschreibt" auch nichts... Ein chronisch erhöhter Cortisolspiegel (oder ein mittel- bis langfristig in Überdosis zugeführtes Corticoid) führt zum Untergang von Zellen im Hippocampus, mit der Folge, daß man sich nur noch schlecht konzentrieren und sich kaum noch etwas merken kann.

Zitat
Warum ist denn der wissenschaftliche Beirat gegen Cortisol Substitution bei stark betroffenen Heterozygoten? Ich meine, gegen die Anzeichen der Vermännlichung kann eine Runde Pilates wohl wenig helfen ;-)

Weder ist unser wissenschaftlicher Beirat gegen eine Corticoidsubstitution bei Frauen mit Late-onset AGS (ob nun heterozygot oder nicht; die Werte von 17-OHP und DHEA-S (basal und nach ACTH-Stimulation) sind wesentlich aussagekräftiger als das Ergebnis eines DNA-Tests), noch habe ich dies behauptet.
Ich hasse es, wenn man mir die Worte im Mund herumdreht!!

Der Zusammenhang ist der folgende:
Streß führt zu verstärkter Ausschüttung von ACTH. Dieses regt die Nebennierenrinde zur verstärkten Produktion von Cortisol und Androgenen und (in geringerem Umfang auch) Mineralcorticoiden an. Bei Menschen mit AGS wird die ohnehin erhöhte Androgenproduktion also nochmals gesteigert. Bei solchen mit Late-onset AGS steigt auch der Cortisolspiegel an (Late-onset-Betroffene haben keinen Cortisolmangel), bei solchen mit klassischem AGS kaum oder gar nicht.
Um die Steigerung der Androgenproduktion bei Streß zu verhindern, müßte man die Corticoiddosis vervielfachen. Da die meisten Menschen, auch solche mit AGS, jedoch ständig irgendwelchen Stressoren ausgesetzt sind, würden sie damit schnell ein Cushing-Syndrom entwickeln oder zumindest irgendwann nach Jahrzehnten Folgeerkrankungen wie Osteoporose bekommen.
Da ist es besser, wenn es gar nicht erst (oder in geringerem Umfang) zu der verstärkten ACTH-Ausschüttung kommt, weil man nämlich von vornherein entspannter ist und anders mit dem Streß umgeht. Um dieses zu erreichen, kann man ein Entspannungsverfahren erlernen (da es so viele verschiedene gibt, sollte für jeden etwas dabei sein; manche müssen eben erst ein paar ausprobieren) und dann auch regelmäßig anwenden. Der Besuch eines Streßseminars o.Ä. kann zusätzlich hilfreich sein. Nicht umsonst ist der Umgang mit Streß häufig Thema auf unseren Kongressen und Frauentreffen.

Wer glaubt, daß es mit der bloßen Einnahme eines Glucocorticoids (und, bei SV, Mineralcorticoids) getan ist, der irrt.

Viele Grüße,
Braunauge

Mai 12, 2013, 05:29:33 Vormittag
Antwort #5

Sivana

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Wenn also beim Late-onset AGS kei Cortisolmangel vorliegt, woher kommen dann die Androgene?

Mai 13, 2013, 02:38:11 Vormittag
Antwort #6

Braunauge

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Wenn also beim Late-onset AGS kei Cortisolmangel vorliegt, woher kommen dann die Androgene?

Die kommen aus der Nebennierenrinde.

Ich werde es im Folgenden versuchen zu erklären.

Grundlagen (wie es funktioniert, wenn alles richtig funktioniert)

1. Im menschlichen Gehirn gibt es eine Art Steuerzentrum, welches Hypothalamus heißt (Genaueres siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Hypothalamus). Dort wird unter anderen CRH (= Corticotropin-releasing hormone = Corticoliberin, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Corticotropin-releasing_Hormone) produziert. Welche Menge gerade produziert wird, hängt von der Tageszeit ab.
2. Am Hypothalamus hängt eine Hormondrüse namens Hypophyse. Diese besteht aus drei Teilen, die unterschiedliche Aufgaben haben (http://de.wikipedia.org/wiki/Hypophyse). Im Zusammenhang mit AGS ist nur die Adenohypophyse ( = HVL = Hypophysenvorderlappen, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Hypophysenvorderlappen) interessant. Ein Teil des CRH kommt bei ihr an und signalisiert ihr damit, daß sie ACTH (Adrenocorticotrophes Hormon = Adrenocorticotropin, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/ACTH) produzieren soll.
3. Über die Blutbahn gelangt das ACTH zur Nebennierenrinde (http://de.wikipedia.org/wiki/Nebennierenrinde#Nebennierenrinde). Diese produziert daraufhin verschiedene Sorten von Hormonen:
3a. Glucocorticoide (http://de.wikipedia.org/wiki/Glucocorticoide), insbesondere Cortisol (http://de.wikipedia.org/wiki/Cortisol);
3b. Androgene (http://de.wikipedia.org/wiki/Androgene), insbesondere Androstendion (welches u.a. in Hoden bzw. Eierstöcken zu Testosteron und dann teilweise zu DHT (Dihydrotestosteron) bzw. zu Estradiol umgewandelt wird) und dessen Vorstufe DHEA (Dehydroepiandrosteron);
3c. Mineralcorticoide, insbesondere Aldosteron (http://de.wikipedia.org/wiki/Aldosteron). Allerdings ist die Aldosteronproduktion weitgehend unabhängig von der Stimulation durch ACTH, da Aldosteron Teil eines anderen Regelkreises (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System) ist.
Die Vorläufersubstanz für alle diese Hormone ist das Cholesterol (Cholesterin). Für die Umwandlung werden verschiedene Enzyme benötigt. In der folgenden (sehr wichtigen) Graphik sind diese als Balken dargestellt: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Steroidogenesis.svg
4. Eines der Zwischenprodukte ist das Progesteron, ein anderes das 17-Hydroxyprogesteron (17-OHP, siehe gelber Bereich). Die Pfeile geben Aufschluß darüber, was daraus werden kann:
4a. Das Enzym 21-Hydroxylase wandelt den größten Teil des Progesterons in Desoxycorticosteron (DOC, Vorläuferstubstanz von Corticosteron, welches wiederum eine Vorläufersubstanz für Aldosteron ist) und den größten Teil des 17-OHP in 11-Desoxycortisol (Vorläufersubstanz von Cortisol) um.
4b. Ein sehr viel kleinerer Teil des 17-OHP wird von anderen Enzymen in Androstendion umgewandelt (s.o. 3b.).
Die in der Nebennierenrinde produzierten Hormone werden ins Blut abgegeben.
5. Ein Teil des Cortisols kommt beim Hypothalamus (siehe 1.) an. Dort findet eine Art Abgleich statt: Ist der Cortisolspiegel so, wie er zu diesem Zeitpunkt und diesem Streßpegel sein sollte?
5a. Falls ja, unterbricht der Hypothalamus die Produktion von CRH, die Hypophyse daraufhin die Produktion von ACTH und die Nebennierenrinde die Produktion von Cortisol und Androgenen. Dieser Mechanismus wird als negative Rückkopplung bezeichnet.
5b. Falls nein, produzieren der Hypothalamus weiterhin CRH, die Hypophyse weiterhin ACTH und die Nebennierenrinde weiterhin die o.g. Hormone. Dies geschieht so lange, bis der Hypothalamus den Cortisolspiegel für hoch genug hält – und zwar bereits im Mutterleib.

Mögliche Abweichungen

Es gibt drei Enzymdefekte, die zur Symptomatik eines Adrenogenitalen Syndroms führen können (anhand der oben verlinkten Graphik nachvollziehbar):
A. Defekt der 3β-HSD (3β-Hydroxysteroiddehydrogenase): extrem selten, zieht laut Literatur immer ein schweres AGS mit Salzverlust nach sich);
B. Defekt der 21-Hydroxylase: mit großem Abstand häufigste Ursache für ein AGS, je nach Ausprägung des Defekts Late-onset AGS, klassisches (einfaches) AGS oder AGS mit Salzverlust;
C. Defekt der 11β-Hydroxylase: zweithäufigste Ursache für ein AGS, führt i.d.R. zu einem AGS mit Salzverlust.
Die Defekte sind genetisch bedingt (vererbt oder Spontanmutation).

Rechenbeispiel mit fiktiven Zahlen (zur Verdeutlichung, vereinfacht)

Es seien drei Personen X, Y und Z. Bei X funktioniert die 21-Hydroxylase so, wie sie soll. Bei Y funktioniert sie nur zur Hälfte und bei Z gar nicht.
Angenommen, die Personen seien einander ansonsten recht ähnlich und der Hypothalamus einer jeden Person erwarte einen Cortisolwert von 100 Einheiten. Um das zu erreichen, produziert er 10 CRH. Die Hypophyse einer jeden der drei Personen reagiert auf die 10 Einheiten CRH mit der Produktion von 20 Einheiten ACTH.
Bei Person X reagiert die Nebennierenrinde auf die 20 ACTH mit der Produktion von von 100 Cortisol und 5 Androstendion. Die 100 Cortisol kommen beim Hypothalamus an, dieser ist zufrieden und stellt die Produktion von CRH ein. Person X hat somit kein AGS.
Auch bei Person Y kommen die 20 Einheiten ACTH in der Nebennierenrinde an. Wegen des Enzymdefekts können jedoch nur 50 statt 100 Einheiten Cortisol hergestellt werden. Es bleibt 17-OHP übrig, und ein Teil davon wird von anderen Enzymen in Androstendion umgewandelt. Der Rest verbleibt in der Nebennierenrinde (wo er sich anreichert) bzw. im Blut. Insgesamt liefert die Nebennierenrinde von Y 50 Einheiten Cortisol und 15 Einheiten Androstendion. Mit dem Androstendion kann der Hypothalamus nichts anfangen, da er sich nur für das Cortisol interessiert. Die 50 Einheiten sind ihm zu wenig. Also produziert er nochmals CRH, und zwar 5 Einheiten. Die Hypophyse reagiert darauf mit der Produktion von 10 Einheiten ACTH. Diese sollten die Nebennierenrinde eigentlich zur Produktion von 50 Einheiten Cortisol anregen. Wegen des Enzymdefekts schafft sie jedoch wieder nur die Hälfte davon (25 Einheiten). Es bleibt wieder 17-OHP übrig, welches teilweise in Androstendion umgewandelt wird. insgesamt werden 25 Einheiten Cortisol und 7,5 Einheiten Androstendion produziert. Dem Hypothalamus sind das immer noch 25 Einheiten Cortisol zu wenig. Er produziert 2,5 Einheiten CRH, die Hypophyse daraufhin 5 Einheiten ACTH, die Nebennierenrinde folglich 12,5 Einheiten Cortisol sowie 3,75 Einheiten Androstendion. Bis hierhin wurden insgesamt 75 statt 100 Einheiten Cortisol und 26,25 statt 5 Androstendion hergestellt. Person Y hat ein Late-onset AGS. Das Ganze setzt sich noch so lange fort, bis die gewünschten 100 Einheiten Cortisol endlich vorhanden sind. In diesem Rechenbeispiel ist das zwar theoretisch nie der Fall, in Wirklichkeit jedoch durchaus. Die Nebennierenrinde produziert zum Ausgleich nämlich mehr 21-Hydroxylase (von der natürlich wieder ein Teil, also in diesem Beispiel die Hälfte, defekt ist). Der Cortisolspiegel von Late-onset-Patienten ist daher normal (bzw. bei Streß auch erhöht, wobei diese streßbedingte Erhöhung bei einigen Betroffenen geringer ausfallen kann als bei Personen ohne den Enzymdefekt, wodurch sie möglicherweise [d.h. dies ist spekulativ!] weniger streßresistent sind), allerdings um den "Preis" des stark erhöhten Androstendionspiegels. Wegen des überschüssigen, in der Nebennierenrinde eingelagerten 17-OHP sowie wegen der zusätzlich produzierten 21-Hydroxylase ist die Nebennierenrinde leicht vergrößert.
Bei Person Z sieht es ganz schlecht aus. Wegen des vollständigen Ausfalls der 21-Hydroxylase werden 0 statt 100 Einheiten Cortisol und 20 statt 5 Einheiten Androstendion produziert. Der Hypothalamus stellt also nochmals 10 Einheiten CRH her, die Hypophyse nochmals 20 Einheiten ACTH. Die Nebennierenrinde reagiert darauf mit der Produktion von weiteren 0 Einheiten Cortisol und 20 Einheiten Androstendion usw. Theoretisch müßte die Produktion von CRH, ACTH und Androstendion nun bis ins Unendliche steigen, praktisch ist dies jedoch nicht der Fall: Sowohl Hypothalamus als auch Hypophyse als auch Nebennierenrinde kommen irgendwann an ihre Grenzen. Deshalb findet sich bei Person Z zusätzlich zu der ausgeprägten Vermännlichung und der deutlich vergrößerten Nebennierenrinde (welche auch der Grund dafür ist, daß das AGS im englischsprachigen Raum Congenital Adrenogenital Hyperplasia (CAH) = Angeborene Nebennierenrindenhyperplasie (Hyperplasie = Vergrößerung) heißt) auch die Symptomatik eines Morbus Addison (http://de.wikipedia.org/wiki/Morbus_Addison). Person Z hat ein AGS mit Salzverlust und kann ohne Substitution der fehlenden Hormone nicht überleben.

Wirkungen der Substitutionstherapie

Die Einnahme eines Glucocorticoids bedeutet nicht nur einen Ersatz, sondern bewirkt auch, daß der Hypothalamus "zufriedener" ist und kein oder weniger CRH herstellt, die Hypophyse kein oder weniger ACTH herstellt und die Nebennierenrinde somit ganz oder teilweise "ruhiggestellt" wird, d.h. die Nebennierenrinde produziert somit weniger überschüssiges Androstendion oder gar keines mehr. Der "Preis" dafür ist die Abhängigkeit von dem Glucocorticoid.
Beim klassischen AGS gibt keine Alternative zu dieser Abhängigkeit: Die Nebennierenrindeninsuffizienz – und damit die Abhängigkeit von dem Glucocorticoid – besteht so oder so. Beim Late-onset AGS ohne Corticoidsubstitution hingegen besitzt die Nebennierenrinde noch die Fähigkeit, das benötigte Cortisol selbst herzustellen.

Möglichkeiten der Behandlung eines Late-onset AGS:

1) Alles so lassen, wie es ist. Bei Männern mit Late-onset AGS ist dies die Regel, da die leicht erhöhten Androgene und deren Wirkungen kaum oder gar nicht auffallen. Jedoch gibt es auch viele Frauen, die trotz erhöhter Androgenwerte keine Symptome haben oder sich an der vermehrten Körperbehaarung nicht stören (oder denen es genügt, sich zu rasieren) und keinen Kinderwunsch haben.
2) Man läßt die Nebennierenrinde in Ruhe und bekämpft die erhöhten Androgenwerte mit anderen Mitteln, d.h. mit antiandrogen wirkenden Medikamenten. Hierzu werden meist Ovulationshemmer ("Pille") mit antiandrogen wirkender Gestagenkomponente (von zahlreichen synthetischen Gestagenen haben insgesamt 4 eine antiandrogene Wirkung, darunter Cyproteron) verwendet. Die 4 auf dem Markt befindlichen antiandrogenen Medikamente ohne Gestagenwirkung sind bisher nur für Männer zugelassen, eine Verordnung von z.B. Finasterid an Frauen deshalb off label (wird nur von wenigen Ärzten gemacht, Medikament muß dann i.d.R. selbst bezahlt werden). Außerdem gibt es das Diuretikum Spironolacton, welches eine antiandrogene Nebenwirkung hat (http://en.wikipedia.org/wiki/Spironolactone). Wegen anderer Nebenwirkungen wird es allerdings i.d.R. schlecht vertragen.
3)
Wenn kein Kinderwunsch besteht, wird eine Therapie wie in 2) durchgeführt. Bei Kinderwunsch erfolgt jedoch statt dessen eine Corticoidsubstitution erfolgen, damit ein Eisprung stattfinden kann und das Risiko für eine Fehlgeburt minimiert wird. (Frauen mit Late-onset AGS, die während der Schwangerschaft keine Corticoidsubstitution durchführen, haben ein drastisch Erhöhtes Risiko für eine Fehlgeburt.) Hierfür wird i.d.R. Hydrocortison verwendet, da es nicht plazentagängig ist. (Es soll ja nur die Produktion der eigenen Nebennierenrinde unterdrückt werden und nicht die des Fötus (außer im Falle der pränatalen Dexamethasontherapie bei 25%igem Risiko für ein AGS).) Nach der Geburt wird die Corticoiddosis dann langsam wieder reduziert, das Corticoid schließlich abgesetzt und gleichzeitg wieder die "Pille" genommen. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, daß die Abhängigkeit von dem Corticoid nur zeitweise besteht. Allerdings haben die "Pillen" häufig nicht die gewünschte Wirkung, nicht tolerierbare Nebenwirkungen oder dürfen z.B. wegen des Thromboserisikos nicht genommen werden.
4) Corticoidsubstitution. Hierfür kann außer Hydrocortison auch ein anderes Glucocorticoid verwendet werden, z.B. Prednison/ Prednisolon (Einnahme nur 2x pro Tag nötig) oder Dexamethason (Einnahme nur 1x in 1-2 Tagen nötig). Jeder dieser Wirkstoffe hat Vor- und Nachteile. Beispielsweise schwankt beim Hydrocortison wegen der kurzen Halbwertszeit der Spiegel auch dann stark, wenn die Dosis auf 4 Einzeldosen pro Tag verteilt wird. Dexamethason hingegen neigt wegen seiner langen Halbwertszeit zur Kumulation (Anhäufung/ Anreicherung), und feine Dosisabstufungen sind nicht möglich, wodurch das Risiko für ein Cushing-Syndrom (http://de.wikipedia.org/wiki/Cushing-Syndrom) sehr hoch ist. Ein Nachteil aller Wirkstoffe ist die Tatsache, daß der Tagesrhythmus der körpereigenen Cortisolproduktion damit nur sehr unzureichend nachgeahmt werden kann. Ein gravierender Nachteil der Corticoidsubstitution insgesamt ist die Abhängigkeit von dem Medikament; es kann nicht einfach abgesetzt werden, ohne daß es zu körperlichen Entzugserscheinungen bis hin zur Addison-Krise kommt. Eine Magen-Darm-Infektion kann somit schnell lebensgefährlich werden. In vielen Fällen (vor allem wenn die Eigenproduktion von Cortisol nicht nur teilweise, sondern vollständig unterdrückt wird) ist das Mitführen eines Corticoidausweises nötig. Außerdem sind die durch die Corticoidsubstitution normalisierten Androgenwerte keineswegs eine Garantie dafür, daß die Körperbehaarung zurückgeht bzw. durch Androgene bedingter Haarausfall gänzlich gestoppt wird! Ein Rückgang der Behaarung zeigt sich frühestens nach 2 Jahren, manchmal auch gar nicht. Der Haarausfall geht zwar i.d.R. sehr viel schneller zurück als die Körperbehaarung, aber ein Wunder sollte man auch da nicht erwarten.
5) Corticoidsubstitution + Einnahme einer "Pille" mit antiandrogener Gestagenkomponente oder Einnahme von Spironolacton oder eines sonstigen Antiandrogens (off label, s.o.).
Bei 1) bis 5) können zusätzlich zum Einsatz kommen: Rasieren, Enthaarungscreme, Epilation, dauerhafte Haarentfernung (mittels IPL, Laser oder Elektroepilation), Vaniqua (Creme mit dem Wirkstoff Eflornithin, die im Gesicht aufgetragen wird, um das Haarwachstum zu unterdrücken), äußerliche Anwendung von Minoxidil (Regaine, zur Bekämpfung des Haarausfalls), Haarstransplantation, Perücke, Pflegeprodukte für fettige Haare/ Haut, Mittel gegen Akne.

... All diese Dinge werden auch immer auf unseren Kongressen (1x jährlich, dieses Jahr im September in Berlin) und Frauentreffen (für das diesjährige keine Anmeldung mehr möglich, nächstes voraussichtlich 2015) thematisiert, sowohl in Vorträgen von Experten und Fragerunden mit Experten als auch in Betroffenen-Gesprächsgruppen. Außerdem steht ein Großteil dessen, was ich hier geschrieben habe, auch in unseren Broschüren.
An den Kongressen dürfen auch Betroffene teilnehmen, die keine Mitglieder der AGS-Initiative sind. Selbiges gilt für das Anfordern der Broschüren. Neue Mitglieder sind jedoch jederzeit herzlich willkommen!
www.ags-initiative.de


Ich könnte jetzt auch noch etwas zum Thema "Late-onset AGS bei Überträgern eines klassischen AGS", d.h. bei heterozygotem Enzymdefekt, schreiben... Jedoch ist die Wissenschaft diesbezüglich erst am Anfang. Die meisten Endokrinologen wollen nichts davon wissen und gehen weiterhin von streng rezessiver Vererbung aus, während Genetiker (und viele Betroffene...) das inzwischen anders sehen.
Im Late-onset-Forum (http://240296.forumromanum.com/member/forum/forum.php?action=ubb_tindex&USER=user_240296&threadid=2) habe ich bereits in einzelnen Beiträgen etwas dazu geschrieben. Ansonsten kann ich es bei Interesse auch gerne nochmals erklären.

Viele Grüße,
Braunauge
« Letzte Änderung: Mai 13, 2013, 02:40:38 Vormittag von Braunauge »